Lang her, aber….

et jitt Minsche, die verjißte nie

(BAP)

Eine davon ist eine alte Dame, die ich erst kennenlernte, als sie in den letzten Tagen ihres Lebens angelangt war. Ich machte damals, frisch von der Schule, ein freiwilliges soziales Jahr im Altenheim. Dort war ich normalerweise auf der Pflegestation eingesetzt, aber jeder Pflegestation waren auch einige Zimmer zugeteilt, in denen Menschen wohnten, die noch weitgehend allein zurecht kamen. Dorthin ging man meist nur, um vielleicht ein Bett zu machen, einen Rücken zu waschen, an den Jemand selbst nicht mehr herankam oder sowas. Die Dame, die ich nicht vergessen werde, lebte in einem solchen Zimmer, war aber nun am Ende ihrer Zeit angekommen. Sie konnte nicht mehr aufstehen, und so waren wir oft bei ihr. Meine Aufgabe war eines Morgens, ihr ihr Frühstück zu bringen – und möglichst auch dafür zu sorgen daß sie etwas isst, denn darauf hatte sie nun häufig keine Lust mehr. Sie war sehr dünn, der Kopf wirkte schon ein wenig wie ein Totenschädel, aber sie war bei klarem Verstand und wusste sehr genau, was sie will und was nicht.

Da stand ich nun, naives Mädel, gerade mal 18, aus gut behüteter Kinderstube vor der sterbenden Frau – und bot ihr unterschiedlichste Leckereien an. Nichts wollte sie. Nein, keinen Appetit auf Brot, keinen auf Marmelade, Käse, Wurst, Müsli – auf nichts. „Das mag ich nicht!“, war immer die Antwort. Irgendwann war ich mit meinem Latein am Ende und stieß ein „Ja, was mögen Sie denn bloß?“ aus,
worauf die alte Frau grinsend zu singen begann:

„Schnaps, das war ihr letztes Wort…..“ (das Lied ist im Rheinland ziemlich bekannt und geht weiter: „dann trugen sie die Englein fort…“)

—-

Schade eigentlich – ich war mit diesem Galgenhumor völlig überfordert. Es wäre schön gewesen, ich wäre eine gestandene Frau gewesen wie diese hier . Die hätte sicher gewusst, wie reagieren, dachte ich gerade eben beim lesen.

Ich kann garnicht sagen, wie oft ich mich in meinem Leben schon an dieses Erlebnis erinnert habe, in den unterschiedlichsten Momenten. Ich wünsche mir sehr, daß ich, sollte mir ein so schweres Lebensende bevorstehen, auch meinen Humor werde behalten können. Die alte Frau jedenfalls ist keine zwei Tage später gestorben. Ich werde sie nicht vergessen.

 

12 Kommentare zu “Lang her, aber….

  1. fernwehkinder sagt:

    Ich wünschte, ich könnte auch bis zum letzten Tag so klar im Kopf sein. Diese Dame könnte ich auch nicht vergessen.
    Ich bewundere Menschen, die ihre Bedürfnisse klar formulieren können. Ich habe einen solchen Menschen im Rettungsdienst kennen gelernt. Ein Brandopfer bei einem größeren Einsatz, 80 % der Haut verbrannt, und zwar dritten Grades. Der Arzt sah keine Chance, ihn lebend in die Klinik zu bringen, also gab er ihm Schmerzmittel und verfügte „Abwartende Behandlung“. Dafür war ich dann zuständig, weil das in den Bereich der Krisenintervention gehörte. Der Mann war Soldat, wusste also, was das bedeutet und fragte mich nach „nem lecker Kölsch“, bevor er zwei Kollegen und mir sein Dreizeugentestament diktierte. (Einer der Kollegen war cool genug, um ihm wirklich noch ein Kölsch zu holen)

    • Fjonka sagt:

      Boah.
      Also, da muß ich sagen: Respekt nicht nur dem Herrn, sondern auch Dir und Deinen Kollegen. Krisenintervention – das wäre was, was ich NIEMALS könnte!!

  2. Claudia Hollenhorst sagt:

    Das erinnert mich an eine Episode, die der jetzige Abt von Königsmünster erzählte, ähnlich lange her (etwa 30 Jahre). Er war noch sehr neu im Kloster und ein alter Bruder aus Bayern lag im Sterben, die ganze Mönchsschar Rosenkranz betend um ihn herum. Plötzlich öffnet er die Augen und der damalige Abt fragt ihn, ob er noch einen Wunsch habe. Antwort: I will à Bier!, worauf der Abt einen Bruder rausschickt, ein Bier zu holen. Der Sterbende nimmt einen tiefen Schluck, lächelt glücklich und stirbt.

    • Fjonka sagt:

      🙂
      Genau diese Souveränität braucht es! Schade halt, daß ich die (noch?) nicht hatte

      • Bibo59 sagt:

        Kann man die überhaupt mit 18 haben oder braucht es dazu eine gewisse Lebenserfahrung? Mit 18 hätte ich die nicht gehabt, heute würde ich fragen „Cognac oder Likörchen?“ Abgesehen davon, dass es vielleicht nicht so einfach wäre, den Schnaps in so eine Anstalt zu bringen.

        • Fjonka sagt:

          Nein, das ist es nicht, denn das war keine „Anstalt“, sondern ein gut geführtes Altenheim 🙂 Und selbstverständlich dürfen/ durften die Leute dort in ihren Zimmern Vorräte haben von allem, was sie mögen oder brauchen. Daran wäre es also nicht gescheitert.
          Aber Du hast recht, ich glaube, diese Souveränität kann frau mit 18 einfach noch nicht haben.
          So musste die alte Dame also zunächst ohne Schnaps zurechtkommen, aber mir hat sie bleibenden Eindruck hinterlassen und etwas beigebracht.

  3. Und genau das, die Überforderung mit dem Lebensende, macht mich für derartige Berufe ungeeignet.
    Ich würde innerhalb kürzester Zeit zusammenbrechen und ausbrennen weil ich keinen emotionalen Abstand halten könnte…..

    • Fjonka sagt:

      Gut, wenn Du das weißt, das ist ja auch wirklich nicht für JedeN was. 🙂 Sollen es Die machen, die dort richtig sind!
      Ich muß sagen, daß ich SEHR von diesem Jahr profitiert habe; ich habe viel mitgenommen, viel gelernt, bin ein wenig erwachsener geworden. Und ich denke nach wie vor gern an die zeit zurück.
      Aber ich hatte halt noch nicht die Lebenserfahrung, mit ihr zusammen zu lachen (und nachzufragen, ob es vielleicht tatsächlich einfach ein Schnaps sein soll, jetzt)

    • Bibo59 sagt:

      Hast Du denn den richtigen Studiengang erwischt? Mein ja nur: mein katholischer Priestervetter hat ständig damit zu tun.

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