Paralleluniversen – mein allererstes

Mein allererstes  persönliches Paralleluniversumserlebnis hatte ich 1986 oder 1987.

Fjonka, aus dem rheinischen Ballungsgebiet stammende fast frisch-entschulte und gut behütet aufgewachsene Gymnasiastin kam aufs unterfränkische Winz-Dorf. Dort traf sie auf Kolleginnen, die aus dem Nachbardorf stammten, nie da rausgekommen waren und mit vielen Geschwistern und wenig Zeit der Eltern aufgewachsen waren.

Cultureclash!!!

Ich war schon irgendwas zwischen geschockt und beeindruckt, als ich nur den normalen Tagesablauf der einen Kollegin mitbekam: morgens hoch, Kühe, Ehemann und Kinder füttern (die Kühe zusätzlich melken), um dreiviertel 8 (sommers 7) mit dem Mofa los zur Arbeit beim Gärtner. In der Mittags“pause“ heim, Essen kochen für die Kinder, Wäsche in die Maschine, büschen putzen und Co, dann wieder auffe Arbeit. Abends um 17 (sommers 18) Uhr Feierabend, heim, kochen für den Mann, Kühe füttern und melken, restliche Hausarbeit.

Die Rentnerin (72) hatte ja Mann und Kind nicht mehr daheim (worüber sie nicht müde wurde zu jubeln, vor allem was den offenbar nichtsnutzigen Mann anging, dessen Tod ihr wohl recht gelegen gekommen war) und verbrachte ihre Freizeit im Schrebergarten, wo sie nach 10 Stunden Arbeit beim Gemüse(!)gärtner ihr eigenes Gemüse anbaute. Aber sie fand, sie hatte es gut: konnte sie doch in der Mittagspause ein Nickerchen machen! Übrigens mochte auch ich des Gärtners Gemüse (und das sämtlicher anderer konventioneller Gemüsebauer) bald nicht mehr essen. Weil ich mitbekam, was da alles und wie oft gespritzt wurde. Das war’s aber bei der alten Dame nicht- sie hat in ihrem Schrebergarten eigentlich nichts anders gemacht….

Der große Wunsch für die Zukunft der Jüngeren (im PLURAL)? Sich irgendwann ein echtes Dirndl leisten zu können (was auch immer „echt“ in diesem Zusammenhang sein mag- es scheint viel Geld zu kosten!) Und die beste Zeit im Jahr? Die Zeit der Weinlese. Da haben sie alle Urlaub genommen. Und statt zehn Stunden beim Gärtner zwölf Stunden in den Weinbergen gearbeitet. Auf meinen offenbar doch ziemlich fassungslosen Gesichtsausdruck hin wurde mir erklärt: die Weinlese, da träfe man schließlich alle, die man sonst nie sähe, und es gäbe jeden Tag ’ne richtig gute Vesper, da ließe sich der Winzer nicht lumpen, und überhaupt sei die Arbeit zwar ziemlich anstrengend, aber das ganze wie ein langes Fest. Okaaaayyyy…. ich konnte das (leider?) nicht austesten, denn in dieser Zeit war es wirklich bitter nötig, daß wenigstens wir Lehrlinge in der Gärnerei arbeiteten….

Aber so richtig das Gefühl, in eine andere, parallele Welt geraten zu sein, hatte ich erst, als ich zu wissen bekam, warum meine damals 34-jährige Kollegin mit 18 (GERADE 18) geheiratet hatte. Nämlich deshalb, weil sie mit 17 der festen Meinung war, heiße Milch, vor dem „Akt“ getrunken, wirke empfängnisverhütend.

Ich konnte mir damals einfach ü-ber-haupt nicht vorstellen, daß sowas in unseren Zeiten möglich wäre und war nachhaltig erschüttert!
Zum ersten Mal hatte ich Einblick in ein Paralleluniversum gleich nebenan.

16 Kommentare zu “Paralleluniversen – mein allererstes

  1. Kerstin sagt:

    Ich stöbere gerade in alten Beiträgen… geh ich recht in der Annahme, dass das bekannte unterfränkische Örtchen ist? HIER haben ernsthaft Mädels auf ein Dirndl gespart? 1987?
    Das muss Millionen Kilometer von da weg sein, wo ich aufgewachsen bin… *kopfkratz* sowas könnte ich mir höchstens noch 1950 vorstellen oder so… bist du sicher, dass du nicht in Wirklichkeit 37 Jahre älter bist als du immer dachtest?

    • Fjonka sagt:

      Nein, das ist ein anderes Örtchen, ich bin ja innerhalb Frankens auch noch 2x umgezogen… aber nicht Millionen Kilometer entfernt, sondern etwa 90. Und ja, ich BIN sicher- ich vertu mich beim eigenen Alter zwar öfter, aber nie mehr als 2 Jahre hoch oder runter *g*

  2. Sabienes sagt:

    So erschafft sich halt jeder sein persönliches Stück Glück!

    LG
    Sabienes

  3. Sprachlos! Mir geht’s grad wie der Rosenfrau –> „WOW – ich weiß grad nicht, ob ich darüber weinen oder lachen soll…“

    Zum Thema Dirndl fällt mir noch ein, dass ich mir aus einer Laune heraus mal ein hiesiges, echtes Trachtendirndl zulegen wollte (ist natürlich albern, hiesiger wird frau dadurch auch nicht, eingemeindet sowieso frühestens ab der vierten Generation nach Zuzug etc.), na jedenfalls war mir danach.

    Also auf zur „Trachtenmanufaktur“, in der entsprechenden Abteilung hab ich mich schon gewundert, dass die ganzen echten Dirndl im Gegensatz zum Landhausmodenkram *angekettet* waren (muss mal sehen, ob ich davon nicht ein Photo hinkriege).

    Dann hab ich die Preisschildchen beäugt – und bin gaaanz schnell in denn Miss Sixty Laden geflüchtet und hab mir doch lieber ein nettes T-Shirt gekauft 😀 Besser war das.

  4. Au Backe. Mehr fällt mir dazu nicht ein.

  5. Rosenfrau sagt:

    WOW – ich weiß grad nicht, ob ich darüber weinen oder lachen soll…

    • Fjonka sagt:

      Ich glaube, das hängt von einem Faktor ab, den ich nie ergründen konnte (zumindest wenn sich Deine Reaktion auf das Gesamtleben der Kolleginnen bezieht): Männe oben genannter Kollegin arbeitete Vollzeit Schicht in einer Fabrik. MUSS Frau dann bei ererbtem Klein-Hof und 2 Kindern die Nebenerwerbslandwirtschaft aufrechterhalten UND für 5 Mark (wochenends a Fuffz’gerle mehr) Stundenlohn beim Gärtner arbeiten, oder macht frau das, weil frau das macht…
      Die Rentnerin jedenfalls MUSSTE nicht, Haus schuldenfrei und ihrs, Witwenrente plus eigene reicht dann gut zum leben. „Ich will doch nicht einrosten, was soll ich denn den ganzen Tag rumsitzen?“

      • Wenn man nicht arbeiten muss aber keine bessere Idee hat gegen die Langeweile als doch zu schuften wie ein Tier, das ist dann echt zum Heulen.

        • Fjonka sagt:

          MEIN Gedanke war eher: die hat dann kein Mitgefühl verdient, da kann ich lachen! 🙂

          • Rosenfrau sagt:

            Schon irgendwie. Aber eben auch erschreckend – leben, nur um zu schuften? Stell‘ dir mal vor, du wüsstest gar nicht, was genussvoller Müßiggang ist! *schauder*

            • Jepp, zumal es da ne ganze Generation gibt, die zu einem großen Teil genau darauf gedrillt wurden und dann in der Rente, na entweder weiterschuften oder depressiv werden, weil sie mit der Frei(h/z)eit nichts anfangen können. Das muss man nämlich wenn es einem mal gründlich ausgetrieben wurde wieder mühsam lernen. Und klappt eben nicht immer.

        • Rosenfrau sagt:

          Geeenau!

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