Zimmerreise. Mit A wie Angelschnur. Oder Abschied.

Mein Blick schweift durchs Arbeitszimmer. Ich habe Kopfweh, draußen ist es fies weißgrau und kalt, der

ganz oben ganz links….

Kater sitzt auf der Arbeitsplatte neben mir – ich muß noch ein wenig am Computer bleiben, denn wenn ich jetzt weggehe, findet das sensible Katz‘ wieder keine Ruhe, und wenn das sensible Katz‘ morgens keine Ruhe findet, wird es unleidlich, und wenn das sensible Katz unleidlich wird, gibt das einen nervigen Tag mit fauchen, knurren und irgendwann auch unleidlichen Menschen. Es ist Samstag, ich will einen entspannten Tag – also sitze ich im Arbeitszimmer herum, damit der Kater schlafen kann *augenroll*

Als ich da so sitze und gucke, fällt mein Blick auf eine fast aufgebrauchte Rolle Angelschnur ganz oben im Büroregälchen.

Angelschnur im Büroregälchen? ….. Zeitreise ……

1997. Mein bester Freund Volker ist vor einigen Monaten gestorben, ich bin noch unter Schock (sage ich aus heutiger Sicht) und inzwischen krankgeschrieben, weil nichts mehr ging, so ohne ihn. Unsere WG-Zeiten hier im Haus liegen zwar schon länger hinter uns, aber immer wieder gibt es einen Schlag mit dem Vorschlaghammer, wenn ich hier eine Schublade öffne oder dort in ein selten genutztes Schrankfach blicke. So auch, als ich im Keller etwas suche und eine Schachtel öffne: Angelhaken, Angelschnur – ein vergessenes Überbleibsel von Volker…… Ich tu, was ich mit solchen Fünden zu dieser Zeit immer tue: nachdem ich den Vorschlaghammerschlag verkraftet und ein paar Minütchen geweint habe, bringe ich sie in die inzwischen eingerichtete „Folgä-Schublade“

2017. Mein Kommodenschrank muß dringend umstrukturiert werden, es braucht Platz für dies und das. Ich ziehe wieder einmal die Schublade links ganz oben auf. Ein Pieks im Bauch- da sind sie, die Sachen vom Volker, immer noch in der Folgä-Schublade: seine blaue Mütze, ein“Scheckheft“ der Flensburger Bücherei, ein uraltes, rostbröckelndes Hufeisen, ein Döschen mit Angelhaken, die Angelschnur… ich stehe lange da und fühle in mich hinein. Ja, ich täusche mich nicht – nur ein Pieks, eine leise Melancholie …. diese Schublade kann für andere Dinge genutzt werden. Die Angelhaken bekommt ein Freund, aber die Schnur behalte ich, die kann ich benutzen, um Bilder aufzuhängen, zum Beispiel. Und so findet sie ihren neuen Platz im Büroregälchen. So ganz verabschieden kann ich mich aber nach wie vor nicht. Das Scheckheft und ein, zwei andere Dinge bleiben dort, in die Schublade kommen noch andere „Zeitdokumente“ wie eine Liste mit Telefoneinheiten für die Abrechnung am Monatesende.

2021. Viel ist nicht mehr über. Die Mütze war ab und an im Garten in Gebrauch, aber eigentlich ist sie mir zu groß – also kam sie in den Sozialladen. Und auch die Angelschnur ist fast schon leer….. kleine Abschiede. Aber immer noch bröckelt das Hufeisen vor sich hin (ist es so feucht bei uns im Schlafzimmer????), und beim Anblick der Telefonliste muß ich lächeln – meine Güte, bin ich wirklich so alt???? Viel älter sogar, eigentlich, denn ich kenne noch die Zeiten, wo wir Minuten plus „F“ für Ferngespräch oder „O“ für Ortsgespräch aufgeschrieben haben, um das dann am Ende kompliziert auszurechnen, weil es noch keinen Einheitenzähler gab….

Der Kater hat sich zusammengerollt. Auch von ihm verabschiede ich mich jetzt. Er kann nun alleine schlafen. Der Tag wartet, versehen mit einer kleinen Traurigkeit, die mit der Erinnerung an alte WG-Zeiten schon fast verflogen ist


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16 Kommentare zu “Zimmerreise. Mit A wie Angelschnur. Oder Abschied.

  1. Maenade sagt:

    Und neben dem Pieks, den ich auch kenne, gibt es in anderen Situationen immer das Lächeln: Wenn ich mal wieder Opas Bohrmaschine raushole, das Geschirr der Schwieger-Oma mal wieder bewusst (täglich in Gebrauch), den Schal von Patschouli… Und einen kleinen Pieks, wenn das Plastik vom Pustepinsel dann doch den Geist aufgibt und er wegkommt. Oder der letzte olle Briefumschlag aus der Sammlung (endlich 😉 ) aufgebraucht ist.

  2. pflanzwas sagt:

    Wirklich eine berührende Geschichte und ich kann gut nachvollziehen, wie es dir mit diesen Dingen geht. Auch daß es eines Tages plötzlich paßt, etwas loszulassen und weiter- bzw. wegzugeben. Ein Glück, daß der Schmerz weniger wird und die Dinge des geliebten Menschen anderswo weiterleben dürfen 🙂 F und O, ja, was war das damals teuer. In der Kindheit hieß es noch, telefonier nicht so lange, da kostete das noch 10 oder 20 Pfennige 🙂 Danke für die schöne Reise!

  3. puzzleblume sagt:

    Eine berührende Zimmer- und Zeitreise, die so nachvollziehbar wirkt, weil wohl so ziemlich jeder einer Art Abschiedaufschiebe-Schublade oder so etwas Ähnliches hat. Vielen Dank für’s Mitnehmen (in jeder Hinsicht), ich finde das nämlich richtig gut, wenn man über die Erzählungnen anderer auf seine eigenen Dinge reflektiert.

    Die Punktlandung auf der „50“ ist es nicht geworden, aber die erste Zimmerreise drüber finde ich auch bemerkenswert, denn damit hätte ich wirklich nicht mehr gerechnet. 🤩

    • Fjonka sagt:

      Ja, richtig- geht mir beim lesen der anderen Beiträge auch so, daß ich immer wieder über Ähnlichkeiten stolpere – schön! 🙂
      Eure Zimmerreisen haben wirklich einen Nerv der Zeit getroffen, toll!

      • puzzleblume sagt:

        Im Nachhinein wundere ich mich, dass man in früheren, ja auch manchmal wirklich langweiligen Blogwintern nicht darauf gekommen ist.

        Beim Wortman gibt es zur Zeit ein ABC-Projekt mit Fotos, bei dem ich auch mitmache, und es mir, inspiriert durch die Zimmerreisen, zurechtbiege, indem ich durch mein Fotoarchiv im alten Blog streife, das wirkt ganz ähnlich, wie in der Wohnung herumzukruschten, wenn man die Zeit hat, sich durch die alten Bilder noch einmal zu neuen Beiträgen anregen zu lassen.

  4. Steffi sagt:

    Manche Dinge brauchen Zeit. So geht es mir auch immer wieder mit den Sachen von meiner Mutter. Von Papa nicht ganz so sehr. Ich drück dich ganz leise um den Kater nicht zu wecken….

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